Abschied 2016 (Foto: Welz, Klassik Stiftung Weimar)

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  • 31. Dezember 2018 — Glückwunsch

    Der Weimarer Bibliothekar Reinhold Köhler als Adressat des Gedichts
    Guten Tag und gute Tage, stets noch schönre Morgen morgen,
    Möge Dein Geschick geschickt für Geld und wenig Sorgen sorgen,
    Mögen Leiden um die Stirn Dir nur wie flüchtge Fliegen fliegen,
    Mögest Du die schönste Feindin in der Liebe Kriegen kriegen,
    Mög um Dich ein Glück des Lebens, das nicht zu verscherzen, scherzen,
    Mögen Dich die schönsten Arme inniglich von Herzen herzen,
    Möge man den Kranz des Wissens dir, dem Ruhmesreichen, reichen,
    Dein Vermögen möge Rothschilds oder Seinesgleichen gleichen,
    (Welch ein Glück, du würdest Gold mir wie aus vollen Pumpen pumpen,
    Und wir beide, Freund, wir ließen uns von keinem Lumpen lumpen!)
    Mög die Mitwelt deine Bücher, feil zu höchsten Preisen, preisen
    Und auf dich noch späte Nachwelt, als gelehrten Weisen, weisen!

    Man kann nicht übersehen, dass die Verse, holprig schön, ursprünglich an einen männlichen Intellektuellen gerichtet waren. Adressat war Reinhold Köhler (1830–1892), Oberbibliothekar der Großherzoglichen Bibliothek in Weimar. Der Titel des Gedichts lautet lapidar: An R. K. Zum Geburtstag.

    Der Autor Peter Cornelius (1824–1874) war Komponist und Dichter, ein Neffe des gleichnamigen bekannten Malers. Seine Oper Der Barbier von Bagdad war 1858 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt worden. Diese Vorstellung bildete den Anlass für den Rücktritt Franz Liszts als Leiter der Hofkapelle, weil Gegner Liszts die Aufführung gestört hatten. Über Cornelius fand Köhler Zugang in den Kreis des »Neuweimar-Vereins« und traf dort außer mit Liszt auch mit den Schriftstellern Friedrich Hebbel, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben u.a. zusammen. Der Verein hatte sich eine kulturelle Erneuerung in Frontstellung gegen das »Alt-Weimar« zum Ziel gesetzt.

    Cornelius war immer in Geldnot, aus der ihm Köhler gelegentlich heraushalf. Darauf spielt der Ausdruck »pumpen« im Vers 9 an. Der Angesprochene hatte allerdings von seinem nicht üppigen Gehalt auch seine beiden älteren Schwestern mitzuversorgen, mit denen er, der Junggeselle, in einer Mietwohnung am Weimarer Graben Nr. 33 zusammenlebte. Köhler war zunächst Bibliothekar, ab 1882 Direktor der Großherzoglichen Bibliothek, der Vorläuferin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. 1864 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Vor allem war Köhler, der »Ruhmesreiche«, ein europaweit bekannter Volkskundler und Märchenforscher, der zahllose wissenschaftliche Publikationen verfasst hatte.

    Das spektakulärste Ereignis in Köhlers ereignisarmem Leben war das Unglück, das zu seinem Tode führte. »Am 11. Oktober 1890, also noch keine vierzehn Tage nach seiner Ankunft,« berichtet Jutta Hecker in ihrem Buch Rudolf Steiner in Weimar, »ging Steiner vom Schloss den kurzen Weg in die Bibliothek hinüber, um sich ein Buch auszuleihen, das Goethe für seine botanische Arbeit einmal benutzt hatte. Selten gefordert, stand es in der oberen Etage ganz hoch in einem Regal. Der hilfreich zuvorkommende Köhler machte sich sofort selber auf, obwohl eigentlich ein Gehilfe dafür zur Verfügung stand, dieses Buch herbeizuholen, damit Steiner es gleich mitnehmen könne. Steiner wartete, und als Köhler nach überlanger Zeit nicht zurückkehrte, ging man nachzusehen und fand ihn mit gebrochenem Bein und schwerem Schock neben der umgestürzten Leiter. Köhler hat sich von diesem Unfall nie wieder erholt und starb nach schmerzhaftem Krankenlager am 15. August 1892.«

    Das Gedicht »An R.K.« wirkt so komisch, weil die einfachen Paarreime (Verse nach dem Reimschema aa bb cc) durch Binnenreime (z.B. »Gleichen gleichen«) in ihrer Wirkung noch einmal verstärkt werden. Eigentlich sind dies gar keine Reime mehr, sondern phonetisch gleiche Wörter, die am Schluss eines Verses doppelt vorkommen. Von ihrer semantischen Bedeutung sind sie teils unterschiedlich (»Weisen, weisen«), teils unterschiedslos (»Herzen, herzen«), haben aber eine unterschiedliche Funktion im Satzgefüge z.B. als Substantiv oder Verb.

    Aus: Thüringer Anthologie. Eine poetische Reise. Hrsg. von Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann. Weimar: Weimarer Verlagsges. 2018, S. 175. € 18

    Michael Knoche